Emblem (Kunstform)

Anonym (ein Mitglied des Jesuitenkollegs in Brüssel): TRISTITIA Mundi e minimis. – Maxima de nihilo nascitur. prop. lib. 2 (lat. „Die Traurigkeit der Welt entsteht aus den kleinsten Dingen.“ – Das Größte entsteht aus dem Nichts. Propertius, Elegien 2,1, Vers 16[1]), Emblem, 1665, Gouache, 25,5 × 20,5 cm. In: Koninklijke Bibliotheek van België (KBR), Ms 20.331, S. 39r.[2]

Das Emblem (auch Emblema, Plural Embleme, Emblemata) ist die komplexeste Kunstform der bildlichen und literarischen Sinnbildkunst. Entstanden in den 1520er Jahren in Italien, hatte die Emblemkunst (Emblematik) ihre Blütezeit in allein europäisch geprägten Kontexten bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Als „das Herzstück der epochalen Sinnbildanschauungen“ war sie charakteristisch für das Medien- und Bildverständnis der europäischen Frühen Neuzeit insgesamt, das Bildern „Sprachbedeutung“ zuwies und die „Eigenleistung des Betrachters als Bestandteil der bildlichen Mitteilung“ vorsah.[3]

In der griechischen und römischen Antike bezeichnete der Begriff Emblema Objekte, Bilder und Texte, die in eine andere Umgebung eingesetzt sind. Auch Sinnbilder, deren Bild- und/oder Text-Elemente scheinbar mühelos zusammengestellt oder in eine neue Umgebung eingesetzt sind, nannte man daher daran anknüpfend in der Frühen Neuzeit ebenfalls Emblemata. Sinnbildliche Embleme erschließen sich als Zeichen (signum) in einem dreischrittigen Auslegungsprozess von der Definition eines verweisenden Sachverhalts (res significans) und seiner signifikanten Eigenschaften über die Bezugsfindung auf einen darin durch Analogie versinnbildlichten Sachverhalt (res significata) aus anderen Wissensbereichen zu der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung. Andere Sinnbilder – wie etwa Symbole und Allegorien – stellen in Bild und/oder Text etwas dar, dessen gesamte sinnbildliche Auslegung der Rezipient zu leisten hat. Embleme repräsentieren dagegen in Bild und/oder Text auch Teile der Auslegung des Dargestellten. Anders als etwa die Erbauungsliteratur überlässt die Emblemkunst als eine offene Kunstform die Schlussfolgerung allerdings ganz dem Rezipienten.

Lange wurde eine dreiteilige Darstellungsform aus einem Lemma (griech. λῆμμα, auch lat. vocalium signum oder inscriptio, ital. motto, dt. Titel, Überschrift), einem Ikon (griech. εἰκών, auch lat. pictura oder imago, dt. Bild) und einem Epigramm (griech. ἐπίγραμμα, auch lat. subscriptio, dt. Bildunterschrift, Untertitel) zum Idealtypus eines Emblems erklärt. Dabei könne etwa das Ikon die Definition, das Epigramm die Bezugsfindung und das Lemma die Schlussfolgerung übernehmen. Tatsächlich entsprechen die meisten Embleme dieser idealtypischen Darstellungsform allerdings nicht. So bestehen viele Embleme nur aus einem oder zweien dieser Darstellungselemente. Auch bei dreiteiligen Emblemen ist zudem die Zuordnung der Denkschritte zu den Darstellungselementen meist anders verteilt.

Besonders Werke aus der Anfangsphase der Emblemkunst fordern einen hohen Eigenanteil des Rezipienten am Auslegungsprozess. Provoziert wird dies durch Kürze (brevitas), Unvollständigkeit, Sprunghaftigkeit und Rätselhaftigkeit der Teilargumente, die Embleme in Bild und/oder Text repräsentieren. In der Herstellung und Auslegung zunächst rätselhaft scheinender Embleme konstituierte die Emblemkunst so besonders in ihren Anfängen eine sozial exklusive Interpretationsgemeinschaft gebildeter und flexibel denkender Rezipienten. Mit der Ausbreitung der Emblemkunst nahm der hohe Eigenanteil der Rezipienten am Auslegungsprozess allerdings seit Ende des 16. Jahrhunderts zugunsten von Didaktisierung, Popularisierung und Enzyklopädisierung stark ab. Da der Darstellungsgegenstand eines Emblems aus allen Bereichen des Wissens stammen konnte, trugen Embleme in der Frühen Neuzeit zur Vermehrung und Verbreitung von Sachwissen und Symbolkenntnis umfassend bei. Vom frühen 16. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen sowohl in lateinischer Sprache als auch in vielen europäischen Volkssprachen über 6500 Emblembücher. Auch durch die sogenannte „angewandte Emblematik“ war die Emblemkunst in ganz Europa omnipräsent. Die Wirkung der Emblemkunst auf alle Wissens- und Lebensbereiche (u. a. Religion, Ethik und Politik) und insbesondere für die Vermittlung einer stände- und konfessionenübergreifenden Lebensklugheit kann kaum überschätzt werden.

Neuerdings werden in den sogenannten Memes, die sich seit Mitte der 2010er Jahre im Internet entwickelt und verbreitet haben, sowie in spezifischen Gestaltungen von Tatoos späte popularisierte Derivate der frühneuzeitlichen Emblematik vermutet.

  1. Sextus Propertius: Elegiae. 2,1,Vers 16. In: Perseus Digital Library. Abgerufen am 12. März 2024 (Latein).
  2. Karel Porteman: Catalogue and comments. In: Ders. (Hrsg.): Emblematic exhibitions (affixiones) at the Brussels Jesuit College. (1630–1685). A study of the commemorative manuscripts (Royal Library, Brussels). Brepols, Turnhout 1996, ISBN 2-503-50516-3, S. 148 f., Frontispiz.
  3. Carsten Peter Warncke: Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. (= Wolfenbütteler Forschungen. Band 33). Harrassowitz, Wiesbaden 1987, ISBN 3-447-02725-8, S. 177, 187, 205; auch ebd., S. 24, 28–30, 57, 62 f.

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